Michael Grosse liest aus dem Roman von Sándor Márai
Der ungarische Romancier Sándor Márai (1900-1989), dessen Werk dem von Stefan Zweig, Joseph Roth und Robert Musil ebenbürtig ist, fand hierzulande erst posthum seit etwa dem Jahr 2000 öffentliches Interesse im Zusammenhang mit der Rezeption seines Romans „Die Glut“.
In seinem autobiographischen Roman „Bekenntnisse eines Bürgers“ schildert Márai, der sich zeitlebens zwischen Bürgerlichkeit und Anarchie hin- und hergerissen fühlte, nicht nur das Ungarn seiner Kindheit, sondern wirft auch einen scharfen, kritisch-analytischen Blick auf das „Weimarer Deutschland“, wo er lange Zeit lebte.
Die inspirierende Erzählweise, deren Palette von komisch-sarkastischen bis zu ernsten oder auch melancholischen Tönen reicht, und die Einbettung der eigenen Erlebnisse und Erfahrungen in die Zeitgeschichte lassen unschwer eine geistige Verwandtschaft des ungarischen Dichters mit Thomas Mann erkennen: Beide sind in der spätbürgerlichen Epoche verwurzelt, haben aber dennoch – oder gerade deshalb – mit scharfer Beobachtungsgabe in künstlerischer Vollendung deren Widersprüchlichkeit aufgezeigt.
Aufführungsrechte: Adelphi Edizioni, Mailand | Rechte für die deutsche Übersetzung: Piper Verlag, München
Leitung
Besetzung
Christian Oscar Gaszi Laki | Westdeutsche Zeitung Krefeld | 27. Oktober 2025Zu Besuch in Sándor Márais Welt
In einer bemerkenswert atmosphärischen Lesung entführte Generalintendant Michael Grosse sein Publikum in die Gedanken- und Lebenswelt des ungarischen Autors Sándor Márai (…) Dabei gelang es Grosse im Theater Krefeld, der mit seiner warmen und wohlgeformt artikulierten Stimme den mit viel Bedacht ausgewählten Text in deutscher Übersetzung, mit spürbarer Freude auch am ungarischen Kolorit ausdeutend las, in kürzester Zeit das Wesen jener Erinnerungen heraufzubeschwören, die im Mittelpunkt des Abends standen: Die „Bekenntnisse eines Bürgers“. (…)
Und jenes Bürgertum – ein komplexer Begriff, der hier weit über das heute gemeinhin Assoziierte hinausgeht -, dessen zwiespältiges Wesen Sándor Márai in und kurz vor seiner Auflösung mit scharfer Beobachtungsgabe vor den Augen des Rezipienten plastisch formend sichtbar werden lässt, gab es, als das Buch 1934 erschein, so kaum mehr. Márais feinherbe Schilderungen sind einerseits von einer wehmütigen Nostalgie geprägt, aber er legt auch die Doppelmoral, die Arroganz, jener Welt offen. Geschah und geschieht auch vieles stets in beste Form und beste Manier gehüllt, mit einer Höflichkeit, die sich bis in die Todesstunden hält. (…)
In der Auswahl der Passagen, die Grosse las, lernt man nicht nur beispielsweise den fast schon religiösen Wert kennen, den das vormalige Bürgertum der stilvoll gedeckten Frühstückstafel (…) beigemessen hatte, sondern auch viel über die Denkweise jener Welt. (…)
Márai ist seiner Zeit Kind und doch – er spürt, wo etwas schief liegt. Schief in der Großmannssucht des damaligen Ungarn, aber auch schief in dem Deutschland, wo er zunächst als Feuilletonist eine frühe Karriere machte. Und schief später nach seiner Rückkehr in seine Heimat. (…)
Wie schön, dass Michael Grosse anlässlich des 125. Geburtstages des Autors dem Krefelder Publikum auf diese Weise Einblicke in die Denkwelt des Ungarn gewährte. Ein sehr besonderer Abend.
Christina Schulte | Rheinische Post Krefeld | 27. Oktober 2025Ein Abend voller Bekenntnisse
Auf der komplett ausverkauften Lesebühne brachte Generalintendant Michael Grosse Auszüge aus „Bekenntnisse eines Bürgers“ zu Gehör – die Lesung aus den Erinnerungen des Sándor Márai gefiel ausnehmend gut. Grosse bewies einmal mehr, wie virtuos er mit Texten umzugehen versteht. (…)
Bereits in der retrospektiven Schilderung sein er Kindheit wird deutlich: Márai stammt aus einem deutsch-ungarischen Haushalt, beherrscht beide Sprachen, bewegt sich in beiden Kulturen. Er ist Journalist und Schriftsteller, mithin ein guter Beobachter mit dem Talent zur Pointe und zum amüsanten und leicht spitzigen Schreiben. (…) Es ist dem Theater zu danken, wieder einmal auf den Ungarn Márai aufmerksam zu machen. (…)