Schauspiel

Das vierte Verhör

Von Zaza Muchemwa // Deutsch von Ulrike Syha // Uraufführung Leitung Besetzung

19. April 2025

The Union, ein autoritärer Staat in einer nicht allzu fernen Zukunft. Kundai Anderson sieht sich am Ziel ihrer Träume. Lediglich ein paar Stempel noch und einige Unterschriften, dann erhält sie endlich die Baugenehmigung für ihr lang geplantes Spa. Aber unversehens gerät der Traum zum Alptraum. Die junge Frau sieht sich mit seltsamen Fragen konfrontiert – „Sie wollen, dass die Menschen ausruhen und nachdenken? Nachdenken über was?“ – und schließlich wird sie abgeführt und in eine Zelle gesperrt.

Die Agenten der Einheit A, in der Anderson gelandet ist, verdächtigen sie, die Nox-Initiative zu unterstützen, eine aufrührerische Gruppe, die es auf die Destabilisierung der Union abgesehen hat, durch das Zurschaustellen von unkontrolliertem Lachen, exaltiertem Verhalten und unverstellten Gefühlen. In ihrer Zelle trifft Kundai Anderson auf eine geheimnisvolle Frau, die ebenfalls verdächtigt wird, der Nox-Initiative anzugehören. Sie wird seit vielen Jahren dort festgehalten und hat höchst eigentümliche Überlebens- und Widerstandstechniken entwickelt.

Zaza Muchemwa ist Dichterin, Dramatikerin und Theaterregisseurin und lebt und arbeitet in Simbabwe. Sie ist eingeladen, das von ihr geschriebene Stück in der Spielzeit 24/25 in der Reihe Außereuropäisches Theater zu inszenieren.

Von Sasha Westphal, 9. Februar 2025, nachtkritik.de

Gespenster der Destabilisierung

“Haupt Sekai gilt als verrückt. Die, die sie seit Jahren, vielleicht auch schon seit Jahrzehnten, in einer Zelle eingesperrt haben, nennen sie nur die “Alte”. Etwas Verächtliches schwingt in diesem Wort mit, aber auch ein Eingeständnis des eigenen Scheiterns. Denn all die anderen Gefangenen, für die Norest und die Kommissarin Innom verantwortlich waren, sind gar nicht erst alt geworden. (…) Sie sind zerbrochen und schon bald darauf verstorben. Aber Haupt Sekai hat durchgehalten und streift nun wie Rilkes Panther durch die silbergrau angestrichene Container-Zelle, die Lydia Merkel auf die große Bühne des Mönchengladbacher Theaters gestellt hat. Eine Gefangene, die, wie ein ebenso silbergrau angemalter Baumstumpf mit fünf aus ihm herauswachsenden grünen Blättern in der Mitte der Zelle andeutet, längst in ihrer ganz eigenen Welt lebt. (…) Ein ebenso feines und zerbrechliches Gleichgewicht versucht Zaza Muchemwa, auch in ihrem Stück zu etablieren. Szenen, in denen Kundai, die eine Zeit lang im Ausland gelebt hat und nun in die Union zurückgekehrt ist, um dort ein Spa zu bauen, in dem sich die Arbeiterinnen und Arbeiter der Union eine Woche lang entspannen können, von Kommissarin Innom, der Leiterin der Einheit A, und ihrer Mitarbeiterin Norest verhört wird, wechseln sich mit Szenen in Haupt Sekais Zelle ab. So stellt Muchemwa der repressiven Welt eines paranoiden und tyrannischen Systems, das die Menschen in seelenlose Arbeitsmaschinen verwandeln will, eine Vision von Menschlichkeit entgegen, die von Geistern der Opfer dieses Regimes repräsentiert wird. (…) Mehr noch als in ihrem Text verleiht Zaza Muchemwa jeder der Verhörszenen in ihrer Inszenierung einen eigenen Ton, der Räume für Assoziationen öffnet. Während sich die von Marie Eick-Kerssenbrock als optimistische und vielleicht auch etwas naive junge Frau verkörperte Kundai bei ihrem ersten Verhör einfach mit der Orwellschen Bürokratie der Union konfrontiert sieht, gerät sie in der zweiten Verhörszene mit in eine bizarre Gameshow. Esther Keils Norest und die von Helena Gossmann gespielte Kommissarin verwandeln die gezielte Demütigung ihres Opfers in eine große Show, die eben diese Demütigungen noch einmal verstärkt. (…) Im dritten Verhör verwandelt sich Helena Gossmanns zynische Kommissarin in einen eiskalten Folterknecht. Jede Frage an Kundai geht hier mit schmerzhaften Übergriffen einher, die Muchemwa allerdings auf eine sehr abstrakte, jeglichen Sensationalismus vermeidende Weise in Szene setzt. Faszinierenderweise ist es aber nicht nur die Verhörte, die unter den Qualen leidet. Auch Esther Keils Norest windet sich in diesen Momenten vor Schmerzen.”

Von Angela Wilms-Adrians, 09. Februar 2025, Rheinische Post Mönchengladbach

Beklemmende Einblicke in ein autoritäres System

“Das Theater Mönchengladbach zeigt Zaza Muchemwas Dystopie einer erschreckenden Gesellschaftsordnung in der Inszenierung der Autorin aus Simbabwe. Klanggestaltung, Lichtregie, Bühnenausstattung und nicht zuletzt das eindringliche Spiel der Schauspielerinnen Esther Keil, Helena Gossmann und Marie Eick-Kerssenbrock verdichten sich zum unheilvollen Szenario für die Fiktion eines autoritären Systems mit Tugendwächterinnen in Ausübung ihrer willkürlichen Macht.(…)Esther Keil mimt die Tugendwächterin Norest, der sie zuweilen robotergleiche Bewegungen verleiht. Sie gibt die Figur streng, unerbittlich und doch noch mit einem Hauch von Empathie, die sie der Kommissarin verdächtig macht. Keil spielt ebenso die inhaftierte Haupt Sekai, die ihre eigenen Rituale entwickelt hat. Sie durchbricht die Welt der Kontrolle und Härte, wenn sie die in der Zelle gespannten Fäden zum Klingen bringt. Helena Gossmann gibt die Kommissarin mit furchteinflößender Autorität, die in Momenten vorgeblicher Freundlichkeit umso gefährlicher wirkt. Sie quält und scheint auch selbst von Stromstößen gefoltert zu werden. Im Rampenlicht richtet sie ihre Monologe ebenso ans Publikum. Über die Lichtregie zurückgenommen zur Schattenfigur, ist die Kommissarin auch beinahe unsichtbar als Bedrohung präsent. In der Rolle der Kundai gestaltet Marie Eick-Kerssenbrock packend die Veränderung ihrer Figur in Reaktion auf Bedrohung und aufsteigende Panik. Zum zweiten von vier Verhören thematisiert die Inszenierung auch reißerische TV-Formate eines sensationslüsternen Voyeurismus.”

Martin Krumbholz, 10. February 2025, Die Deutsche Bühne

Beklemmend wirksam

“Zaza Muchemwas „Das vierte Verhör“ ist eine Dystopie mit anonymem Regime, beklemmender Atmosphäre und einer unerwarteten Pointe. Die Inszenierung mit realistischem Spiel und abstrakter Bühne wäre jedoch vermutlich in einer kleineren Spielstätte passender. (…) Zaza Muchemwa fokussiert in ihrer Regie auf ein realistisches Acting, wobei die von Lydia Merkel gestaltete Bühne, ein doppelseitiger Aufbau, der hin und her bewegt wird, sich eher abstrakt ausnimmt. Die Szenen, die in der Zelle spielen, sind um ein seltsam knochiges, silbernes Gewächs herum gruppiert. Die Rätselhaftigkeit dieses ominösen Symbols ist wohl beabsichtigt, aber sie kontrastiert eigenartig mit einer sterilen Landschaft aus Stühlen und Geländern. Es stellt sich hier die Frage, ob das Stück, das man optimistischerweise ins große Haus gesetzt hat (gefüllt ist es nicht), auf einer Studiobühne nicht besser aufgehoben wäre. Denn die Dramaturgie dieser Dystopie lebt nicht von ausladenden Gängen oder großen Gesten, sondern von der stickigen, beklemmenden Atmosphäre eines Settings, aus dem es kein Entrinnen gibt. Überzeugend gespielt ist „Das vierte Verhör“ allemal. Am Ende hängt denn alles an der Wirksamkeit einer Pointe, die, soviel kann man vorwegnehmen, alles noch auswegloser, noch düsterer macht. ”

von Christa Fluck, 08. Februar 2025, theater:pur

Risse in den Ecken einer Dystopie

“Ergreifend irreale Szenen, deren menschlicher Wirkung sich auch die nüchterne Kundai – die ohnehin im Stück eine geheime Doppelexistenz führt, von der wir erst viel später erfahren – nicht entziehen kann. In manchen Momenten kann auch sie nicht umhin, „sich in den Rissen der Unionswände zu verstecken“. Die Intensität dieser Parallelwelt inmitten eines menschenverachtenden Systems ist zweifellos der afrikanischen Seele der Autorin Zaza Muchemwa geschuldet. Die in ihrer Heimat Simbabwe gefeierte Theatermacherin, die das Stück selbst in Szene setzte, verweist im Programmheft ausdrücklich auf die Nähe zu den Toten in ihrer heimatlichen Kultur und gesteht, dass auch sie daran glaubt, „dass die Menschen, die nicht mehr auf der selben physischen Ebene wie wir existieren, uns umgeben. (…)”

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