Yuri Hamano studiert nach ihrer aktiven Tanzkarriere Choreografie an der Palucca Hochschule in Dresden. In ihrer Choreografie Black Sheep gestaltet sie auf poetisch-assoziative Weise spannende, existentielle Themen, die uns alle berühren und in naher Zukunft betreffen werden. Welche Rolle spielt die Identität des einzelnen Menschen in einer digi- talisierten, zunehmend von Algorithmen gesteuerten Welt? Verlieren wir im Streben nach Effizienz nicht unsere sinnlichen und emotionalen Fähigkeiten? Kann eine virtuelle Welt das reale Leben, die Erfahrung von Wind und Sonne, den Duft von Blumen, den Geschmack von Früchten ersetzen? Was geschieht, wenn ein Mensch seiner inneren Stimme folgt, seine spirituellen Wurzeln sucht und sich der gesell- schaftlichen Norm verweigert? Die Erfahrung von Einsamkeit und Ausgrenzung kann ein neues Bewusstsein und Hoffnung bringen…
Alessandro Borghesani, Solotänzer im Ballettensemble Krefeld und Mönchengladbach, hat mit Choreografien wie Assenza und Metro 6 bereits sein Potential als junger Choreograf unter Beweis gestellt. Seiner neuen Choreografie Sogni d’oro liegt eine ganz besondere Idee zugrunde. Süße Träume – so lautet etwa die deutsche Übersetzung – ist in Italien ein liebevoller Gute-Nacht-Wunsch für Kinder. Doch was träumt und fühlt ein ungeborenes Kind? Nehmen wir vor der Geburt Liebe, Angst, Geborgenheit, Bewegung und Licht wahr? Beeinflussen diese ersten Empfindungen unsere Persönlichkeit?
Für seine träumerisch-tänzerische Erkundung des ursprünglichen menschlichen Fühlens wählte Alessandro Borghesani Klavier- und Kammermusik von Rachmaninow.
Unterstützt von der Gesellschaft für Ballett und Tanz e.V.
Angela Wilms-Adrians | Rheinische Post online | 8. Dezember 2025Zwischen Identitätssuche und fiktiven Traumwelten
(…) Die Themen könnten kaum verschiedener sein: Yuri Hamanos Choreografie „Black Sheep“ hinterfragt Identität und Emotionen in einer zunehmend unpersönlichen und auf Effizienz getrimmten Welt. Alessandro Borghesanis Choreografie „Sogni d’oro“ hingegen ist geprägt von persönlichen Empfindungen, nämlich denen des Vaters, der fasziniert ist von den Träumen noch ungeborener Kinder. Beide Choreografien berühren und packen aber gleichermaßen in ihrer Intensität. Mit zwei Uraufführungen an einem Abend auf der Studiobühne bot das Theater Mönchengladbach dem Publikum einen Premierentag der besonderen Art.
„Black Sheep“ ist eine Identitätssuche in einer von Algorithmen gesteuerten Welt (…) Die Tänzerinnen und Tänzer sitzen rückwärtig zum Publikum, isoliert auf betont starren Stühlen, die sie später mit sich führen oder unterschiedlich positionieren. Im Laufe der Aufführung erschließt sich die Symbolik der Stühle als Struktur für eine sich wandelnde Welt. (…) Ein zentrales Element ist die Geburt von Zwillingen, die mithilfe von sich windenden Körpern in einem gazeartigen Schlauch symbolisiert wird. Eines der Kinder stirbt und wird über das hautfarbene Gewand betont unterschieden von den futuristisch anmutenden Kostümen der anderen. Die assoziationsreiche und expressive Aufführung symbolisiert Entfremdung, Einsamkeit, Sehnen und Suchen. Sich scheinbar mechanisch wiederholende Bewegungsabläufe prallen auf ein Ringen und Winden der Körper; fließende Bewegungen treffen auf betont kantige Abläufe, besonders bei den Tänzerinnen. Die Lichtregie unterstreich die Dramatik über Hell-Dunkel-Kontraste und überdimensionierte Schattenwürfe. (…)
Die zweite Choreografie erzählt von Traumwelten und Empfindungen (…) Die sechs Tanzenden in dieser Choreografie sind weiß gekleidet. Weiß sind ebenso die sparsam gehängten Stoffbahnen. Zentrales Requisit sind Leuchtkugeln als Symbol für eine kleine Welt und einen ersten Funken Licht. Sie sind ein wichtiges Element in der sehr lebendigen und ausdrucksvollen Interaktion der Tanzenden mit dem Raum. Und sie unterstreichen anmutig die Atmosphäre der lyrisch anmutenden Choreografie zu drei Stücken aus Sergej Rachmaninows Klavier- und Kammermusik. Borghesanis Choreografie verbindet Elemente des klassischen Balletts mit der abstrakten Erzählung über mögliche Einflüsse auf die Traumwelt. Das Ensemble überzeugt in der poetisch anmutenden Aufführung mit Einfühlungsvermögen und Können.