„La Pucelle“ nannte sie sich selbst, „Jeanne d’Arc“ wird sie in Frankreich genannt, hierzulande ist sie die „Jungfrau von Orléans“. Schon beim Namen beginnen die Fragen: Wer ist diese Tochter des lothringischen Bauern Jacques Darc? Eine gottgesandte Heerführerin, eine Ketzerin, eine Nationalheilige. Eine junge Frau, eine Jungfrau. Ein junger Mann. Eine Kriegerin, eine Verrückte.
Seit über 500 Jahren werden Geschichten über Jeanne d’Arc erzählt, in Romanen und Theaterstücken, in Filmen und Computerspielen wird sie romantisiert, heroisiert und kritisiert. Politisch in Beschlag genommen, von links, aus der Mitte, von extrem rechts und selbst von der Kirche, die sie einst verbrannt hat.
Philipp Sommer und Maja Delinić untersuchen den Fall D’ARC aus einer ganz persönlichen Perspektive. Wer ist der Mensch hinter all den Held*innentaten, den Fakten, den Legenden? Ein naives Bauernmädchen? Eine clevere Strategin? Was kann uns Jeanne über Geschlechterrollen sagen – damals und heute? Über die Macht des Glaubens und die Ohnmacht der Vernunft? Über die Notwendigkeit von Held*innen? Über die Notwendigkeit, Held*innen überflüssig zu machen?
RP Mönchengladbach, 6.12.2021, Dirk RicherdtHeilige im Kampf um Geschlechterrollen
Das Theater widmet dem Leben der Jeanne d’Arc einen spannenden Abend. In einem 90-minütigen Monolog glänzt Philipp Sommer in einer Hosenrolle der besonderen Art.
Als sie 13 Jahre alt ist, hört das lothringische Bauernmädchen Jeanne Darc (postum zu d’Arc geadelt) Stimmen. Die Heiligen Katharina und Margareta und der Erzengel Michael übermitteln ihr eine Mission. Sie soll, im Hundertjährigen Krieg, Frankreich von den englischen Besatzern befreien. Mit unglaublichem Mut und eiserner Konsequenz folgt die Siebzehnjährige dieser Berufung. […] Die Jungfrau Jeanne wurde Opfer männlich dominierter Politik ebenso wie der ideologisch bornierten katholischen Kirche, die sie als Hexe denunzierte. Als er 13 Jahre alt ist, leiht sich Philipp Sommer in einer Videothek Luc Bessons Historienfilm über die heilige Johanna aus. Seither hat ihn Jeanne d’Arc nicht mehr losgelassen. Gemeinsam mit der Regisseurin Maja Delinic entwickelte er seit 2019 über mehrere Planungsstationen ein Monodrama. Und spielte nun 90 Minuten lang die französische Nationalheldin, die aus dem peinliche Sicherheit gewährenden Abstand von 500 Jahren von der Kirche 1920 heiliggesprochen wurde. Welch grausiges Paradox! Wie nah der Schauspieler der frühen Verfechterin weiblicher Emanzipation innerlich gekommen ist, zeigte sein famoser Auftritt bei der Uraufführung von „Der Fall D’Arc“ auf der Studiobühne. Die Spielfläche ist eine von transparenten Stoffbahnen markierte Rotunde, die neben schwarz die Farben der Trikolore (blau-weiß-rot) zeigt. Ein baumähnliches Gebilde aus zusammengeknoteten Leinentüchern markiert den mystischen „Feenbaum“, unter dem sich das Mädchen Jeannette (Jeanne) so gern aufhält. Philipp Sommer trägt ein helles Gewand mit Halstuch, seinen dunklen Vollbart musste er dieser besonderen „Hosenrolle“ opfern. Denn die Jungfrau trägt, sobald sie in den Kampfmodus wechselt, Männerkleidung, hier eine Kettenhemdattrappe aus Stoff. Die Situation spiegelt ein experimentelles Konzept: Ein Schauspieler übernimmt die Rolle eines Mädchens, das sich von der aufgezwungenen Rolle ihres sozial untergeordneten Geschlechts die Freiheit zu männlichem Auftreten nimmt. Und dafür mit dem Tode büßt. Nach wenigen Minuten des Monologs spüren wir Zuschauer: Da erzählt einer vom Schicksal einer Frau, in deren Wesen Sommer sich in höchstem Grade einzufühlen vermag. Wir reiben uns die Augen, wenn wir diesen sportlich trainierten, sehr schlanken Mann in Aktion erleben. Zu einem eingespielten Video (Peter Issig) spricht der Darsteller brillant auch die anderen Rollen (darunter ein Bischof und der Dauphin). Die Maskenabteilung und Kostümbildnerin haben eindrucksvolle Arbeit mit viel Witzeffekt geleistet. Philipp Sommer atmet, seufzt, doziert, protestiert und schreit kongenial als Jeanne seine Botschaften heraus, ohne plump weibliche Gesten zu demonstrieren. Mit Zitaten wie „Unterwegs im Auftrag des Herrn“ (aus dem Musical „Blues Brothers“) und grotesken Bezügen (so ein Querverweis auf Felix Heinrichs) sorgt die kreative Maja Delinic für tolle Unterhaltung – nah am Puls der Zeit, dabei stets anspruchsvoll in den Aussagen. Ein feiner, klug konzipierter und vom Darsteller berührend modulierter Schauspielabend!