La traviata ließe sich ungefähr übersetzen mit „die vom Wege Abgekommene“. Gemeint ist damit die Titelheldin Violetta Valéry, eine umschwärmte Edelkurtisane in Paris, die sich von reichen Männern aushalten lässt. Sie verliebt sich in den jungen Alfredo Germont und wagt mit ihm den Ausbruchsversuch aus der Welt der käuflichen Liebe. Doch ihr Glück ist von kurzer Dauer. Alfredos Vater setzt sie unter moralischen Druck und erzwingt ihre Trennung von seinem Sohn. Verzweifelt nimmt sie ihr früheres Leben in der demi monde wieder auf.
Für La traviata wählte Verdi Alexandre Dumas’ erfolgreiches Schauspiel Die Kameliendame als Vorlage, das das Leben der schillernden Edelprostituierten Marie Duplessis thematisierte. Das damalige Publikum fand es skandalös, einen derartig aktuellen Stoff auf der Opernbühne zu zeigen, und für die Uraufführung wurde Verdi gezwungen, die Handlung in eine frühere Epoche zu verlegen.
La traviata entwickelte sich nach der missglückten Uraufführung 1853 in Venedig dennoch schnell zu einer Erfolgsoper und zählt bis heute zu Verdis beliebtesten Opern weltweit. Wie in vielen seiner Werke thematisiert er hier sein großes Thema: die Liebe, die an gesellschaftlichen Bedingungen scheitert.
Audio-Einführung zur Inszenierung
Operndirektor und Dramaturg Andreas Wendholz interviewt Regisseur und Bühnenbildner Michiel Dijkema. Jetzt anhören:
Einführung zur Inszenierung vor Ort
Jeweils 45 Minuten vor Vorstellungsbeginn bietet Korrepetitor Anton Brezinka an folgenden Terminen eine Stückeinführung am Flügel im Studio des Theaters Mönchengladbach an: 02. November & 03. Dezember.
Markus Lamers, Der Opernfreund, 21.09.24Eine sowohl musikalisch als auch szenisch überzeugende Aufführung, die jedem Opernfreund ans Herz gelegt sei
[…] Auch das Theater Krefeld und Mönchengladbach eröffnete vor wenigen Tagen die Opernsaison 2024/25 in Mönchengladbach mit diesem Klassiker in einer überzeugenden Inszenierung.
Bereits im ersten Moment, in dem sich der Vorhang öffnet, steht Violetta „la traviata“ Valéry allein vor einem überdimensionalen, zerbrochenen Spiegel, der schräg über der Bühne hängt und der als zentrales Element die ersten beiden Akte bestimmt. In ihm spiegelt sich nicht nur die zerbrechliche Seele der Titelfigur, gleichzeitig gibt der Spiegel auch den Blick auf Violettas Leben frei. Dementsprechend wird der Spiegel am Ende der Ouvertüre ein wenig hochgefahren, und die Oper kann mit einem Fest der Pariser Gesellschaft beginnen. Doch schon dieses an sich fröhliche Fest hat eine bedrohliche Atmosphäre. Die Gäste sind ganz in Schwarz gekleidet, die Gesichter hell geschminkt und die feiernde Gesellschaft stark sexualisiert. Auch hier kommt dem bereits erwähnten Spiegel eine besondere Bedeutung zu, denn als eine Art „Spiegel der Gesellschaft“ wird dem Publikum das Treiben der feiernden Gesellschaft gleich aus mehreren Perspektiven serviert. Die Kostüme von Tatjana Ivschina sorgen dabei für das passende Zeitkolorit. Während Michiel Dijkema, der bei seiner ersten Arbeit am Niederrheinischen Gemeinschaftstheater sowohl für die Regie als auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, bereits in den ersten beiden Akten gekonnt Akzente setzt und seine Inszenierung bewusst auf Violetta fokussiert, ist der dritte Akt der Höhepunkt des Abends.
Der Spiegel ist verschwunden und Violetta liegt todkrank in ihrem Bett. Nur ihre Dienerin Annina ist mit ihr im Zimmer. Die Enge des kleinen Raumes wird geschickt symbolisiert, indem nur die vorderen Meter der Bühne genutzt werden. […] Auch eine letzte Begegnung mit ihrem geliebten Alfredo bleibt der sterbenden Violetta verwehrt, dessen Ankunft sie sich in den letzten Minuten ihres Lebens nur noch einbildet. So stirbt sie am Ende nicht in Alfredos Armen, sondern ganz allein. Dass dieses bewegende Ende seine volle Wirkung entfaltet, liegt auch am Spiel von Sophie Witte. Fast zweieinhalb Stunden steht sie an diesem Abend auf der Bühne, singt eine sehr lyrische Violetta, die von Anfang an weniger Diva oder Kurtisane ist als vielmehr eine Gefallene, die erst im zweiten Akt das Glück des Lebens spüren darf.
[…] Neben der in allen Belangen hervorragenden Sophie Witte überzeugen auch Woongyi Lee als Alfredo und Johannes Schwärsky als sein Vater. Beide singen ihre Partien im dritten Akt hinter dem geschlossenen Vorhang und sind somit an dieser Stelle nur musikalisch wahrnehmbar. Die anderen Rollen sind bewusst mit der Pariser Gesellschaft vermischt, da sich Dijkema ganz auf die Titelfigur und die ihr nahestehenden Personen konzentriert. Dennoch sind auch diese kleineren Rollen hervorragend aus dem Ensemble besetzt. Wie stark und beständig dieses in Mönchengladbach ist, zeigt vielleicht das Beispiel, dass ausgerechnet Kairschan Scholdybajew Violettas Diener Giuseppe spielt, der vor gut 20 Jahren in der letzten La traviata an diesem Haus als Alfredo Germont zu erleben war. Die Niederrheinischen Sinfoniker unter der Leitung von GMD Mihkel Kütson spielen in gewohnter Stärke und angemessenem Tempo.
Am Ende des Abends steht eine sowohl musikalisch als auch szenisch überzeugende Aufführung, die mit drei starken Hauptrollen und einem gut einstudierten Opernchor jedem Opernfreund ans Herz gelegt sei.
Helmut Klösges, Rheinische Post, 16.09.24La traviata zeigt die Stärken einer künstlerisch überzeugenden Inszenierung
Solisten meistern anspruchsvolle Partien in „La Traviata“.
[…] Mit Verdis „La Traviata“ (die vom rechten Weg Abgekommene) eröffnete das Theater die Opernsaison der Spielzeit 2024/25. Die Premiere zeigte vornehmlich die Stärken einer insgesamt künstlerisch überzeugenden Inszenierung. Das wurde etwa in der prägnanten Vitalität der Feste im ersten und dritten Bild deutlich.
[…] Zentraler Bezugspunkt der von Michiel Dijkemas gestalteten Bühne ist in den ersten beiden Akten ein überdimensional großer schräg gestellter Spiegel, der die Bühne nach hinten begrenzt. Dieser Spiegel ist zerbrochen, zugleich ein aussagestarkes Abbild von personaler und gesellschaftlicher Zerbrechlichkeit, von Biedersinn, Widersprüchlichkeit, Wohlanständigkeit, Intoleranz, nicht verständlicher Moralität der Pariser Halbwelt.
Verdi verlangt von den drei Hauptdarstellern viel und führt sie an ihr Limit. Hier kann jeder von ihnen zeigen, was er kann. Sophie Witte (Sopran) als einsam verzweifelnde Edelmaitresse Violetta Valéry ist nicht nur physisch, sondern auch stimmlich weniger eine selbstbewusst aufbegehrende junge Frau. Mehr ist sie ein zerbrechliches Wesen, durch schleichende Krankheit gezeichnet, stimmlich beinahe zart. […] Die enorm anspruchsvolle, vielgestaltige Partie bewältigt Sophie Witte überzeugend. Alleine wie sie den mit Pausen durchsetzten Einstieg in „E strano“ phrasiert, kennzeichnet ihre musikalisch gestalterische Intelligenz. Beeindruckend der Schlussakt, der Witte in der Agonie zeigt. Ihre leuchtenden Hochtöne sind jetzt fahler geworden. Wenn sie am Ende doch noch einmal die Höhe voll aussingt, auf ihrem Lieblingswort „gioia“, Freude, dann ist es ihr Todesschrei.
Woongyi Lee (Tenor) als Alfredo Germont, Violettas jugendlicher Lover, bildete mit ihr ein ideales Paar. Im ersten Duett der Liebenden, „Un di felice“, zeigt er bereits, wie flexibel und sensibel er sich seiner Partnerin anzupassen vermag. Auch er hat große Lust, mit seiner Stimme zu spielen, die Breite seiner stimmlichen Möglichkeiten auszukosten. Kein tenoraler Theaterdonner also, sondern das sinnvolle Wechselspiel zwischen laut und leise, vorder- und hintergründig, drängend und nachgiebig, hart und weich.
Johannes Schwärsky (Bariton) als Giorgio Germont, Alfredos Vater, ist kein sympathischer, graumelierter älterer Herr, sondern ein übermächtiger Vater, den Brutalität und Verlogenheit kennzeichnet. Sein Patriarchen-Blaba sitzt, denn es zerstört das Glück seines Sohnes und das Leben Violettas um der gesellschaftlich familialen Wohlanständigkeit Willen. Ein Nur-Widerling also? Oder doch auch ein Opfer fehlgeleiteter soziokultureller Erziehung? Schwärsky zeichnet seinen Part überzeugend. Er gestaltet wirkungsvoll dominant, mit schönem Timbre, gerne im Forte, farbenreich und tragfähig.
GMD Mihkel Kütson und die Niederrheinischen Sinfoniker, der Opernchor (Einstudierung Michael Preiser) schmiegen sich ganz den ohne Marotten singenden Solisten an. […] Und das Premierenpublikum feiert die Protagonisten, eine packend erhellende Produktion ausgiebig lang, jubelnd.
Armin Kaumanns, Aachener Zeitung, 16.09.24Das Musiktheater-Ensemble steht hier wie eine Familie zusammen
[…] Am Theater Mönchengladbach eröffnet der Opernhit eine Saison, die unter der groß geschriebenen 75 eine Beziehung mit Krefeld feiert, als Erfolgsgeschichte gilt.
Heute stehen beide Stadträte fest zu ihren Theatern, die finanzielle Existenz ist zuletzt wieder einmal bis 2030 gesichert worden. Deshalb feiert das Haus von Intendant Michael Grosse mit einem besonderen Programm.
Auch in der neuen „Traviata“ offenbart sich ein Erfolgsrezept des mittelgroßen Hauses. Denn gerade das Musiktheater-Ensemble steht hier wie eine Familie zusammen, viele der Protagonisten sind schon viele Jahre dabei, werden vor dankbare, herausfordernde Aufgaben gestellt und finden so etwas wie Heimat.
Mit den Niederrheinischen Sinfonikern leitet GMD Mihkel Kütson einen begeisterungsfähigen Klangkörper, über das Opernstudio sorgen junge Talente auch künstlerisch für Belebung auf der Bühne. So kommt auch Verdis viel gespielte Oper weitgehend ohne Gäste aus, der Bariton Johannes Schwärsky, der als Georgio Germont einen vom Publikum gefeierten Auftritt hat, ist so etwas wie ein Dauergast am Niederrhein.
In Woongyi Lee und Sophie Witte hat diese „Traviata“ ein äußerst passables Liebespaar. Der südkoreanische Tenor verfügt über Schmelz und Metall, eine sichere Höhe und Lust am italienischen Fach. Sophie Witte ist seit zwölf Jahren einer der Publikumslieblinge, ihr perfekt sitzender jugendlicher Sopran hat sich in dieser Zeit angenehm dunkel einfärbt. Auch ohne großes Drama in der Stimme und einiger Anstrengung in der Höhe ist die anspruchsvolle Violetta-Partie gut bei ihr aufgehoben. Sie trägt den vom Publikum begeistert beklatschten Abend fast allein. […]
Stefan Schmöe, Online Musik Magazin, 15.09.2024Eine schön anzusehende, szenisch schlüssige und am Ende anrührende Traviata auf gutem musikalischen Niveau
Gelungener Saisonauftakt in Mönchengladbach.
[…] In dieser Neuinszenierung fixiert Regisseur und Bühnenbildner Michiel Dijkema daher die Geschichte in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Freilich ohne großen Ausstattungsprunk; er beschränkt sich auf die notwendigsten Requisiten. Für das Zeitkolorit sorgen die historisierenden Kostüme (Tatjana Ivschina).
Dijkema konzentriert sich ganz auf seine Hauptfigur Violetta Valéry, die “Traviata”. Wenn der Vorhang sich öffnet, betrachtet sie sich in einem schräg gestellten, die ganze Bühne ausfüllenden Spiegel, der, das tragische Ende vorwegnehmend, gesprungen ist. Es wird um die Rollen gehen, die sie im Verlauf der Oper einnimmt: Die schillernde Kurtisane im ersten Akt; die zurückgezogen mit ihrem Liebhaber Alfredo lebende (und liebende) Frau zu Beginn des zweiten Akts; danach die auf eben diese Liebe Verzichtende. Am Ende steht die Hilflosigkeit gegenüber dem Tod durch die Schwindsucht. Der Blick in den übermächtigen Spiegel ist immer eine Selbstvergewisserung der Rolle, die sie gerade einnimmt – bezeichnend, das der Spiegel im letzten Akt fehlt. Neben ihr gibt die Regie nur Alfredo und dessen Vater Individualität, während alle anderen Figuren durch das vorherrschende Schwarz der Kostüme im gesellschaftlichen Tableau aufgehen. Und er zeigt eine Figur, die man sonst nicht auf der Bühne sieht: Alfredos Schwester. Die hat nach den Worten des Vaters keine Aussicht auf eine “gute Partie”, solange der Bruder skandalös mit einer Größe der Pariser Halbwelt liiert ist. Mit dem Kunstgriff, dieses (mit der Situation hoffnungslos überforderte) Mädchen tatsächlich zu zeigen, macht Dijkema den moralischen Konflikt tatsächlich recht gut nachvollziehbar. Das Glück der einen ist an das Unglück der anderen gekoppelt.
Sophie Witte singt eine sehr lyrische Traviata ohne divenhafte Attitüde. Die für die Partie vergleichsweise kleine, dafür warm leuchtende Stimme besticht insbesondere im Piano durch ein recht mädchenhaftes Timbre. Dirigent Mihkel Kütson und die sehr aufmerksamen und agilen Niederrheinischen Sinfoniker tragen sie mit stimmfreundlichen Lautstärken, und in den dramatischeren Passagen setzt sie ihre stimmlichen Möglichkeiten klug ein. Die szenische wie musikalische Interpretation bekommt im letzten Akt eine entscheidende Wendung: Violetta stirbt nicht in Alfredos Armen, sondern allein in Einsamkeit. Die Ankunft des Geliebten bleibt eine letzte Fiebervision vor dem Tod. In dieser introvertierten Szene gewinnt die Stimme an Intensität. Sophie Witte gelingt es aber auch, die Violetta in den Akten zuvor als selbstbestimmte junge Frau zu präsentieren, sogar im Entschluss, Alfredo um des Glücks seiner Schwester willen zu verlassen. So entwickelt sie ein beeindruckendes Rollenporträt.
Die Gesellschaft, in der sie sich bewegt, zeigt Dijkema als stark sexualisiert – mit manchen mächtig aufgepolsterten Busen. Da schimmern dann doch Parallelen zur Gegenwart durch, wie überhaupt der wohltuend klare “historische” Ansatz in seiner Reduktion keineswegs museal wirkt. Dazu trägt der spielfreudige und klangprächtige Chor entscheidend bei. […] Dabei dirigiert Kütson unprätentiös und schnörkellos in klaren Tempi (manche Verzögerungen geraten allerdings ein wenig pathetisch). An der insgesamt sehr guten Ensembleleistung ändert das nichts.
Angesichts einer so selbstreflektiven Traviata bleibt der Alfredo szenisch relativ blass. Woongyi Lee singt ihn mit höhensicherem, metallisch strahlendem Tenor, dem es für den feurigen Liebhaber etwas an Schmelz fehlt. Johannes Schwärsky gibt einen polternd strengen Vater Germont von respekteinflößender Gestalt. […] Stellvertretend für das gute Ensemble sei die stimmlich sehr präsente Eva Maria Günschmann in der Rolle der Flora Bervoix genannt.
Vorberichte in der lokalen Presse:
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Tradition trifft Innovation – Regisseur Michiel Dijkema über seine Herangehensweise an „La Traviata“
Jessica Sindermann, HINDENBURGER, 1. September 2024 Zum Beitrag