„Soll ich Ihnen eine Flosse des Wals schicken, als Happen zum Vorkosten? Der Schwanz ist noch nicht gar – obwohl das Höllenfeuer, über dem das ganze Buch gegrillt wird, es eigentlich schon längst durchgegart haben müsste.“ Das schreibt Herman Melville am 29. Juni 1851 an seinen Freund und Schriftsteller Nathaniel Hawthorne, kurz vor Erscheinen seines Ausnahmewerks „Moby-Dick“. Ein dämonisches Buch zwischen Abenteuerroman, Enzyklopädie, Glaubensbekenntnis und papierner Allegorie, das weit mehr zu sein scheint als Kapitän Ahabs Jagd nach dem weißen Wal.
Auch wenn Steuermann Stubb keine Fata Morgana, sondern ein wirkliches Walsteak über einem ganz normalen Feuer grillt, tauchen in „Moby-Dick“ immer wieder unentzifferbare Meerestiere, verruchte Schiffsbewohner und undurchsichtige Wetterlagen auf, die das Abenteuer um den Wörterwal zur Luftspiegelung werden lassen. Ist Ahab Ahab? Ist Moby Dick wirklich ein Wal? Und befindet sich Ishmael, der Erzähler wirklich mit an Bord? Die Suche nach einem Fixstern ganz ohne Winkelmesser entpuppt sich als wahnwitzige Walfahrt.
Dirk Richerdt, RP Mönchengladbach, 29. Januar 2024Hochverdichtetes Schauspielertheater
“Die Regisseurin hat die fünf Darsteller zu lebhaftem Spiel animiert, sodass nicht allein der jeweils redende Schauspieler auf der Bühne in Aktion ist. Das ergibt Schauspielertheater in wohlgelungener Ausführung. (…) Moby-Dick tritt nicht in Erscheinung, auf eine Video-Projektion verzichtet Delinić, zu Recht. Denn in Melvilles populärem Stück Weltliteratur, das wesentlich auch ein Bildungsroman ist, geht es beileibe nicht allein um ein Seefahrt-Abenteuer. Kapitän Ahabs besessener Rachefeldzug gegen ein Tier ist vollkommen absurd, der Plot verweist vielmehr auf „die Monstrositäten des Menschen“, wie der Übersetzer Rathjen im Interview des Programmheftes zusammenfasst. (…)”
Petra Diederichs, RP Krefeld, 8. Mai 2023Fünf Kerle bändigen Moby Dick
“Aus einem 900-seitigen Weltliteraturwälzer knapp zwei Stunden Theater zu machen, dazu braucht es Mumm. Trotz der nicht immer überzeugenden Textfassung, ist die Inszenierung spannend – und das hat mehrere Gründe. […] Delinic hat keinen Solo-Helden. Sie lässt ihre Crew in der Textfassung, die sie gemeinsam mit Verena Meis verfasst hat, in wechselnde Rollen schlüpfen – und alle sind der Erzähler Ishmael, aber auch mal Maat, Steuermann, Koch oder Kannibale. Das gelingt den Schauspielern mit Bravour. Sie finden immer den richtigen Ton und die richtige Haltung, um die Charaktere zu beleuchten. […] Das Quintett auf der Bühne gestaltet das Abenteuer packend. Sie legen sich in den Wind, schwanken mit dem Seegang, sie pullen um ihr Leben – absolut synchron. […] Das Bühnenbild von Ria Papadopoulou ist kongenial. Zwei riesige Wände, die wie zentnerschwerer Marmor wirken, bilden mal Wände oder Decks des Schiffs. […] Der Musiker Clemens Gutjahr hat eine filmartige Musik dazu komponiert, die drohendes Unheil und Naturgewalten erahnen lässt und in einem Seemannslied den ewigen Überlebenskampf ausdrückt.”
Klaus M. Schmidt, WZ Krefeld, 8. Mai 2023Vielschichtiger „Moby Dick“
“Sicher liefert das Darstellerkollektiv ein vielschichtiges Männerportrait: Die Rachegetriebenheit und Hybris Ahabs, also seine Monstrosität, die vom Monsterwal nur gespiegelt wird, ist in Verbindung mit der Verrohung seiner Crew zu sehen, als zwei Seiten eines Teufelspakts. Und Abenteuerlust und Wagemut sind die Kehrseite der Medaille von Verantwortungslosigkeit, Bindungsschwäche und sozialer Inkompetenz. […] Fünf Schauspieler – zu Beginn in schwarze Anzüge, später in Seemannskluft gewandet (Kostüme: Janin Lang) – spielen nicht nur alle Rollen, jeder kann auch jeder sein. Christoph Hohmann, David Kösters, Nicolas Schwarzbürger, Paul Steinbach und Philipp Sommer spielen also keine klaren Figuren, alle sind mal Ahab oder schlüpfen in die Rollen der Maate oder der Harpuniere und so fort.”
Ernst Müller, Extra Tipp, 14. Mai 2023Der Mensch in den Gewalten des Meeres
“Doch die fünf Schauspieler auf der Bühne erzählen kaum von den Erlebnissen der Reise. Statt dessen kehren sie die Seele nach außen: philosophieren über Gott, schwadronieren über das Leben, interpretieren die weiße Farbe, moralisieren Erinnerungen. Dabei wechseln sie munter die Identitäten, sind mal der eine, mal der andere. […] Eine verschiebbare Wand, eine herabgelassene Decke, viel Segeltuch, eine Drehbühne. Das genügt, um mithilfe von Windmaschinen sowie Licht- und Toneffekten das sturmgepeitschte Meer und den Kampf der Walfänger erlebbar und sogar spürbar werden zu lassen. Regisseurin Delinic´, Bühnenbildnerin Ria Papadopoulou und die Techniker hinter der Bühne bescheren den Zuschauern Bilder von einer Intensität, die unter die Haut geht. Und so erschließt sich der Gehalt des Stücks vielleicht noch am ehesten über die emotionalen Eindrücke und die Darstellungskunst der fünf Schauspieler. ”