Tatjana sehnt sich in der russischen Provinz nach einer romantischen Liebe, von der sie bislang nur in Büchern gelesen hat, und glaubt, mit Eugen Onegin den idealen Partner gefunden zu haben. Doch dieser weist sie brüsk zurück. Erst Jahre später, Tatjana ist mittlerweile mit Fürst Gremin verheiratet, wird ihm bewusst, dass er damals einen Fehler begangen hat.
In seinem bekanntesten Opernwerk aus dem Jahr 1879 führt uns Peter Tschaikowsky den Grundkonflikt der Moderne vor Augen: Wie Gefühlskälte und Überdruss aufrichtige Zuneigung zerstören können. Alexander Puschkins Versroman Eugen Onegin von 1833 erzählt von einer Gruppe junger Adeliger, von ihren Sehnsüchten, ihrer Arroganz, von Hingebung und Ablehnung. Anders als bei Puschkin jedoch, der seinen Figuren mit kühler Ruhe und manchmal sogar ironisch begegnet, geht es bei Tschaikowsky um absolute Identifikation: Der homosexuelle Komponist durchlebte mit der weiblichen Hauptfigur Tatjana ihr schmerzhaftes Ringen um Liebe. „Mich spricht jedes Opernsujet an, in dem ich Menschen finde wie mich, die Gefühle haben, wie ich sie habe und die ich verstehe.“
Audio-Einführung zur Inszenierung
Dramaturgin Ulrike Aistleitner interviewt Regisseurin Helen Malkowsky. Jetzt anhören:
Einführung zur Inszenierung vor Ort
Jeweils 45 Minuten vor Vorstellungsbeginn bietet die Dramaturgie an folgenden Terminen eine Stückeinführung im Glasfoyer des Theaters Krefeld an: 20. November, 5. Dezember, 10. Januar, 4. Februar, 14. Februar.
Der Eintritt ist im Ticket enthalten.
Angeber-Wissen für die Pause
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Kurze Inhaltsangabe für sehr Nervöse!
Zitat aus „Der einzig wahre Opernführer“ (W. Körner): Russischer Neurotiker verpfuscht vielversprechende Liebesbeziehung -
Chanel äh Oper N°5
Eugen Onegin ist Tschaikowskys fünfte und bekannteste Oper. Er schrieb sie 1877/78, die Uraufführung fand 1879 in Moskau statt. -
Der singende und der tanzende Tschaikowsky
Neben “Eugen Onegin” im Musiktheater stehen auch für die Ballettkompagnie “Tschaikowskys Träume” auf dem Spielplan. Erleben Sie Oper und Tanz mit Musik von Peter Tschaikowsky in unserem Theater. -
True story!
Alexander Puschkin, Autor des gleichnamigen Versromans, der als Vorlage für die Oper diente, starb ebenso wie seine Romanfigur bzw. Tschaikowskys Opernfigur Wladimir Lenski bei einem Duell mit dem Verehrer seiner Ehefrau Natalja. -
Der größte Hit!
Die bekannteste Arie der Oper ist die sogenannte “Briefarie” der Tatjana „Und sei’s mein Untergang“ aus dem 1. Akt. Die Arie dauert über zehn Minuten und ist inhaltlich und musikalisch eines der ergreifendsten Stücke der Oper.
Heide Oehmen, Rheinische Post, 17.11.24Hervorragend!
[…] Helen Malkowsky legt in ihrer liebevoll zu nennenden Regie großen Wert darauf, die Probleme und Gefühle der Personen herauszuarbeiten und dem Publikum nahezubringen.
Das gelingt ihr hervorragend – weniger durch große Gesten als vielmehr mit ungezählt, zielführenden Einzelheiten. Glücklicherweise folgt ihr das Ensemble einschließlich des Chores vorbildlich bei dieser erhellenden Vorgehensweise.
[…] Die Krone der vokalen Leistungen gebührt Sofia Poulopoulou. Ihrer Tatjana fehlt nichts – weder Bühnenpräsenz noch stimmliches Vermögen. Der funkelnde Sopran der griechischen Sängerin strotzt nur so vor Wandlungsfähigkeit und Sicherheit in allen, auch den extremsten Lagen. Einfach wunderbar.
[…] Bettina Schaeffer aus dem Opernstudio gibt ihr hiesiges Bühnendebüt als anmutig-mädchenhafte Olga mit reich changierenden Mezzofarben. Auch tenorales Edelmetall kommt aus dem Opernstudio: Arthur Munier als herrlich selbstverliebter Franzose Triquet. Eva Maria Günschmann ist die übereifrige Gutsbesitzerin Larina und Satik Tumyan die fürsorgliche Amme Filipjewna. Sonderapplaus bekam der Bass Matthias Wippich für seine vorbildlich gestaltete Arie des Gremin, in der er dem verstörten Onegin von seiner Liebe zu Tatjana berichtet.
[…] Generalmusikdirektor Mihkel Kütson setzte mit den Niederrheinischen Sinfonikern die, so der GMD, „traurige Eleganz und die immer durchscheinende Sehnsucht“ fantasievoll und detailgenau um – nicht zuletzt dank einer unerschöpflichen Klangpalette. Hier seien vor allem die voller Glut musizierenden Celli erwähnt. Ein Sonderlob gilt dem fast ununterbrochen beschäftigten Solooboisten.
Rafael Bruck zeichnet den überheblichen, oberflächlichen Onegin bis in die winzigsten Nuancen und überzeugt auch in der Verzweiflung. Sein großvolumiger Bariton kostet Tiefe und Mittellage wohlig aus. Allerdings sind die Anstrengungen in der Höhe nicht zu überhören.
Christian Oscar Gazsi Laki, Westdeutsche Zeitung, 17.11.24Dieser „Onegin“ trifft einen Geist, der zum Kern vorzudringen weiß
[…] Von Schönheit hat die Produktion unter Federführung von Regisseurin Helen Malkowsky durchaus viel. Von einer oft subtilen, melancholischen Schönheit.
Bewusst reduziert wirkt die Ausstaffierung – und die punktuell akzentuierten Regie-Einfälle blitzen wie kleine Sonnenstrahlen im Grau auf. Manche sind brillant, wie lauschende Bedienstete als Stillleben; andere wie ein deplatzierter Tanz als Fremdkörper eher etwas gewöhnungsbedürftig. Gelb, als die Farbe Onegins und der vermeintlich städtischen Galanterie spielt auch eine Rolle. Doch all das lässt viel Raum für das Seelenleben der Figuren, die zwar manchmal etwas statisch und dann wiederum sehr kraftvoll geführt wirken.
[…] Die Regisseurin und ihr Team (Dramaturgie: Ulrike Aistleitner) lässt in dem überaus gelungenen Bühnenbild mit den „Fensterwänden“ (Tatjana Ivschina) und den eher zeitlos etwas auf „historisch“ getrimmten Kostümen (Anna-Sophie Lienbacher) das Geschehen mit einem Todesfall beginnen. Eine raffinierte Setzung.
[…] Die entstehende Ambivalenz auch im Verhalten der beiden Töchter Olga (charmant verkörpert durch Bettina Schaeffer aus dem Opernstudio) und Tatjana erschafft eine sehr treffend surreale Grundstimmung. Auch trefflich würzt die Rolle von „Amme“ Filipjewna (sehr treffend besetzt durch Satik Tumyan) mit. Tatjana, nicht nur grandios gesungen, sondern auch mit viel schauspielerischer Gabe dargestellt von Sopranistin Sofia Poulopoulou träumt von der großen Liebe. Der Sängerin wird eine enorme Bandbreite an Ausdruck gelingen, vom Schwärmen zu Beginn bis hin zur Contenance einer gereiften Dame von Welt, die indes immer noch das Feuer in sich spürt.
[…] Onegin wird mit bestens aufgelegter Stimme und viel Emphase verkörpert durch Rafael Bruck. Sein Bariton fühlt sich in dieser Musik spürbar wohl – sehr erfreulich. Nicht minder glänzt Tenor Woongyi Lee, dessen Stimme hier ebenfalls zu optimaler Entfaltung kommen darf. Was für ein Material, was für eine Singkultur, die hier deutlich stabiler wirkt als bei vorherigen Produktionen.
[…] Jahre später treffen Onegin und Tatjana in Petersburg wieder aufeinander. Doch letztere ist jetzt mit Fürst Gremin verheiratet (traumhaft gespielt und gesungen von Matthias Wippich).
[…] Die zwischen fescher Galanterie und bittersüß-tragischer Melancholie changierende Musik Tschaikowskys ist in den Händen des Generalmusikdirektors bestens aufgehoben. Mihkel Kütson gewährt indes den beschwingten Tanzszenen nicht immer jene Leichtigkeit, die man erwarten könnte. Auch der von Michael Preiser einstudierte Opernchor evoziert fast bisweilen etwas Bedrohliches. Aber das ist gewollt. Mehr ein wenig wild kommen manche Festszenen. Aber das kontrastiert famos mit der weichen schmelzigen Interpretationsweise der sanften Passagen dieser Musik. Jene Zerrissenheit, jenes Taumeln zwischen Herzeleid und Sinnesfreude, zwischen Melancholie und Furioso ist ja ohnehin Kennzeichen der in dieser Oper beschworenen „Seele“. Die Niederrheinischen Sinfoniker beweisen erneut ihre Fähigkeit für herrlich schwebende Texturen. Ohnehin überzeugt die Produktion sowohl szenisch als auch musikalisch auf ganzer Linie, auch dank weiterer Stimmen wie Gereon Grundmann, Arthur Meunier sowie Bondo Gogia oder auch Irakli Silagadze.
Dieser „Onegin“ trifft einen Geist, der zum Kern vorzudringen weiß. Ohne zu viel Glamour oder „Folklore“ und „Tümelei“. Und das passt; gerade heute mehr denn je.
Werner Häußner, RevierPassagen / Online Merker, 02.10.24 / 27.09.24Die Konkurrenz mit Düsseldorf und Bonn müssen die Niederrheiner nicht scheuen
[…] Die Neuinszenierung in Mönchengladbach, die jetzt wieder aufgenommen und ab 16. November in Krefeld gezeigt wird, stammt von Helen Malkowsky.
Wieder einmal stellt sie unter Beweis, wie einleuchtend sie eine Geschichte zu erzählen, wie unverkünstelt sie Figuren führen und Konstellationen entwickeln kann. Originelle, aber nie aufgesetzte Konzepte entwickelte die Professorin für Musiktheaterregie und Szenische Interpretation an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien schon vor 20 Jahren, als sie in Nürnberg „Der fliegende Holländer“ oder Aribert Reimanns „Melusine“ mit Sensibilität für metaphorische Bühnenlösungen in szenische Psychogramme verwandelte. […]
Nun also „Eugen Onegin“: Der junge, schlanke Dandy bricht absichtslos in die bleigraue Welt auf Larinas Gut ein, sein goldener Rock (Kostüme: Anna-Sophie Lienbacher) spiegelt die zögerliche Faszination der Frauen wieder, stellt aber auch seine in diesen stumpfen Räumen schillernde Exotik aus. Malkowksy erfindet keine Charakterzüge über die im Stück angelegten hinaus, aber sie schärft das Profil der Menschen, indem sie – ähnlich wie Dietrich Hilsdorf in seiner sensationellen Kölner Inszenierung vor zehn Jahren – genau beobachtet. Sie arbeitet mit sprechenden Gesten und offenbarenden Konstellationen: Larina (Katarzyna Kuncio) ist eine pragmatisch gewordene Frau in mittlerem Alter, Filipjewna (Satik Tumyan) ein sympathisch mütterliches Wesen, gezeichnet mit feinem Humor.
Vor den vermauerten oder zugeklebten stilisierten Fenstern der Bühne Tatjana Ivschinas fehlt der verträumten Tatjana mit ihren langen dunklen Haaren ebenso die Wärme wie dem Licht, das eine Trauergesellschaft in fahle Helle kleidet. Offenbar ist der Gutsherr verstorben; Damen und Herren mit Mantel und Hut in Schwarz kondolieren. Der Vorsänger (Irakli Silagadze) singt tonschön und entspannt, wie es selten in dieser kleinen Partie zu erleben ist.
Die Briefszene gestaltet die vorzüglich dunkelglühend singende Sofia Poulopoulou – in weißem Kleid und barfuß ganz bei sich selbst – als einen verzweifelt-feurigen Ausbruchs- und Erweckungsmoment. Das Chaos ihrer Gefühls- und Gedankensplitter kritzelt sie auf Papier, das sie von den halb blinden, halb von Regentränen benetzten Fenstern kratzt, und bindet die Blätter zuletzt zu einem Konvolut. Das Öffnen eines der Fenster mag eine konventionelle Metapher sein: Malkowsky inszeniert es als ein ergreifendes Befreiungserlebnis. Die Zurückweisung Tatjanas wiederum wird zur Charakterstudie Onegins. Gelangweiltes Wohlwollen, unterschätzende Belehrung: Rafael Bruck gestaltet diesen Moment wort- und klangsensibel.
Beim Namensfest Tatjanas tragen die Protagonisten wie die geschwätzigen Gäste Kostüme in den Nuancen von bösem Gelb. Die Inszenierung schildert, wie sich Lenski, vom Alkohol benebelt, in seine Eifersucht hineinsteigert. Wie sorgfältig auch Nebenfiguren gezeichnet werden, ist am Triquet von Arthur Meunier abzulesen: Endlich einmal kein übergriffiger Fummler oder kasperlhafter Trottel, sondern ein sanft frustrierter, still mitwissender Charmeur mit leichtem Hang zur Selbstübersteigerung. Eine Studie, die Meunier auch durch solides gesangliches Gestalten aufwertet.
Nur die Olga der leuchtend leicht singenden Kejti Karaj aus dem Opernstudio Niederrhein bleibt etwas zu sehr am Rande. Das ist aber angemessen, denn das „Kind“ ist nichts weiter als eine Projektionsfigur der romantisch übersteigerten Wünsche des Dichters Lenski, die beim verhängnisvollen Tanz mit Onegin nichts, aber auch gar nichts provoziert. Lenski ist bei Woongyi Lee, ausgestattet mit einem fast überpräsent in der Maske gebildeten, in der Höhe gezwungenen und daher nicht immer intonationsreinen Tenor, ein verstiegener junger Mann, der sich im Duell todesbereit präsentiert. Seine Arie singt Lee mit gestalterischem Feinsinn. Nicht der widerstrebende Onegin erschießt ihn, sondern die Pistole entlädt sich, während jener mit dem Sekundanten ringt. Gereon Grundmann ist der düstere Hüter der Duellregeln und wirkt damit wie ein metaphorischer Repräsentant einer obstruktiven Ordnung, die es wieder herzustellen gilt. Matthias Wippich als balsamfrei singender Fürst Gremin ist im letzten Bild dann der Katalysator für die finale Lebenskatastrophe Onegins.
Die Niederrheinischen Sinfoniker und der Opernchor Krefeld-Mönchengladbach, einstudiert von Michael Preiser, haben in GMD Mihkel Kütson einen erfahrenen Kenner der russischen Romantik am Pult. Kütson hat auch „Mazeppa“ dirigiert und sich mit CD-Aufnahmen entlegenen russischen Repertoires etwa von Alexander Glazunov und Mili Balakirev hervorgetan. Das Orchester überzeugt mit einem dunkel-weichen Klang und ist auch in dramatischen Momenten nie unkontrolliert massiv. Kütson sorgt für sorgfältig gestaltete Tempi und Übergänge, einen überlegten Aufbau emotionaler Spannungen, lyrische Finesse und wehmütige Pastellfarben. Die Konkurrenz mit Düsseldorf und Bonn müssen die Niederrheiner nicht scheuen.
Markus Lamers, Der Opernfreund, 03.10.24Ein wunderbarer Opernabend, der sowohl musikalisch als auch szenisch überzeugt
[…] In ihrer fünften Inszenierung am Niederrheinischen Gemeinschaftstheater konzentriert sich Helen Malkowsky entsprechend der Entstehungsgeschichte des Stückes auf die Gefühlswelt der einzelnen Figuren.
Das beginnt gleich zu Beginn des Abends. Das erste Bild ist eine Trauerfeier für den kürzlich verstorbenen Larin, den Mann der Gutsbesitzerin Larina. Die Dorfgemeinschaft besucht die trauernde Witwe und ihre beiden Töchter Olga und Tatjana, während auf dem Tisch ein Bild des verstorbenen Mannes mit Trauerflor den Blick auf sich zieht. Unter den Trauergästen befinden sich auch Olgas Verlobter Wladimir Lenski und dessen Freund Eugen Onegin. Die Amme Filipjewna, hier vielleicht eher eine Art Haushälterin, erinnert sich mit Larina an bessere Zeiten in der Vergangenheit. Eindrucksvoll inszeniert Malkowsky auch das zweite Bild. Von ihren Gefühlen für Onegin aufgewühlt, reißt Tatjana immer wieder Papier von den Wänden, um ihre Gedanken darauf festzuhalten und in Briefform zu bringen. Mit diesem Papier sind die Fenster des etwas heruntergekommenen Gutshauses beklebt, ein sehenswertes Bühnenbild von Tatjana Ivschina. Sehr eindrucksvoll sind im dritten Bild einige Fensterscheiben, die aus dem Schnürboden herabgelassen werden. Regentropfen werden durch technisch hochwertige Videoprojektionen darauf abgebildet. Während Tatjana auf Onegins Antwort auf ihren Brief wartet, malt sie mit dem Finger Herzen auf die beschlagenen Fensterscheiben. Diese Regenstimmung passt auch zu Onegins kühler Zurückweisung, die Tatjanas Seele tief verletzt. Auch an ihrem Namenstag im vierten Bild scheint Tatjana von innerer Zufriedenheit weit entfernt zu sein. Das Fest wird von übermäßigem Alkoholkonsum beherrscht, und vor allem Lenski trinkt nach Onegins Flirtversuchen mit Olga viel zu viel Wodka, was ihn jegliche Kontrolle über seine Sinne kostet. Völlig betrunken fordert er Onegin schließlich zum Duell heraus, eine durchaus geschickte Erklärung für diese Überreaktion auf einen in dieser Inszenierung recht harmlosen Tanz zwischen Onegin und Olga.
Im Duell nach der Pause erschießt Onegin seinen alten Freund, als sich im Kampf zwischen ihm und Lenskis Sekundanten ein Schuss löst. Zuvor hatte Lenski bereits seine Waffe niedergelegt und wartete mit ausgestreckten Armen auf den tödlichen Schuss. Ein effektvolles Bild, das Lenskis Todessehnsucht leider nicht ganz erklärt. Aber dies ist auch die einzige kleine Ungereimtheit des ganzen Abends. Absolut gelungen ist der Übergang vom fünften zum sechsten Bild. Während die Dorfgemeinschaft zu Lenskis Beerdigung erscheint und Onegin aus dem Dorf flieht, irrt er im Folgenden verloren durch die Menschen, bis er schließlich einige Jahre später in St. Petersburg auf Tatjana trifft, die inzwischen mit dem Fürsten Gremin verheiratet ist. Aus dem Orchestergraben erklingt während des gesamten Geschehens bereits die festliche Musik des bevorstehenden Festes. Von dort aus leitet Giovanni Conti die Niederrheinischen Sinfoniker mit viel Temperament durch die besuchte Aufführung. Bravo an dieser Stelle für das gesamte Orchester. Am Ende des Abends steht Onegin allein auf der großen Bühne, nachdem Tatjana ihm klar gemacht hat, dass sie ihrem Mann treu bleiben wird.
Die Titelfigur wird von Rafael Bruck schauspielerisch stark verkörpert. Zu Beginn noch ein selbstbewusster Lebemann, gerät sein Leben im Laufe des Abends immer mehr aus den Fugen. Auch das Aufflammen seiner Liebe zu Tatjana wirkt wie ein verzweifelter Versuch, an alte und zugleich bessere Zeiten anzuknüpfen. Sein Bariton harmoniert dabei wunderbar mit dem klaren Sopran von Sofia Poulopoulou, die als Tatjana ebenso überzeugt. Als glücklicher Zufall erweist sich, dass diese Oper fast zeitgleich auch an der Deutschen Oper am Rhein aufgeführt wird. So konnte wegen einer kurzfristigen Erkrankung von Eva Maria Günschmann die dortige Gutsherrin Larina „ausgeliehen“ werden. Katarzyna Kuncio hat sich in kürzester Zeit auch darstellerisch gut in die Produktion eingefunden, stimmlich ergänzt sie mit ihrem schönen Mezzosopran das hauseigene Ensemble ebenfalls sehr gut. In den weiteren Rollen überzeugen Kejti Karaj als Olga, Woongyi Lee als Wladimir Lenski, Satik Tumyan als Filipjewna und Hayk Deinyan als Fürst Gremin. Der belgische Tenor Arthur Meunier, Mitglied des Opernstudios Niederrhein, steuert als Triquet ein französisches Ständchen zu Tatjanas Geburtstag bei. Auch der Opernchor unter der Leitung von Michael Preiser zeigt sich einmal mehr gut einstudiert.
Nachdem Eugen Onegin zum Ende der vergangenen Spielzeit in Mönchengladbach Premiere feierte und dort nun zu Beginn der Spielzeit 2024/25 für drei Vorstellungen wieder aufgenommen wurde, steht am 16. November die Übernachtungspremiere in Krefeld auf dem Programm. Ein wunderbarer Opernabend, der sowohl musikalisch als auch szenisch überzeugt.
Thomas Molke, Online Musik Magazin, 30.09.24Herzzerreißend!
[…] Helen Malkowsky gibt in ihrer Inszenierung den Figuren viel Raum, um tief in die Gefühlswelt der einzelnen Charaktere einzutauchen, und baut weitere Aspekte in das Stück ein, die einen neuen Blick eröffnen.
[…] Bühnenbildnerin Tatjana Ivschina hat einen hohen abstrakten Raum entworfen, der durch Einsatz der Drehbühne Einblick in insgesamt drei unterschiedliche Bereiche des Hauses gibt. Die Wände sind grau und heruntergekommen, und auch die zahlreichen Fenster lassen keinen Blick nach draußen zu, da die Scheiben entweder blind oder mit Papier verhangen sind.
Dieses Papier reißt Tatjana im zweiten Bild von zahlreichen Fenstern ab, um darauf ihren Brief an Onegin zu schreiben, dem sie bei der Beerdigung erstmals begegnet ist und in den sie sich sofort unsterblich verliebt hat. Im weiteren Verlauf werden weitere Fensterscheiben aus dem Schnürboden herabgelassen, auf denen sich zunächst in beeindruckenden Projektionen Regentropfen sammeln und auf der beschlagenen Scheibe ein Herz und weitere Kritzeleien zeigen. Wenn Onegin dann im dritten Bild auftritt, um Tatjanas Werben eine Abfuhr zu erteilen, bilden die Scheiben den Brief ab, den Tatjana Onegin über ihre Amme Filipjewna hat zukommen lassen. Im letzten Bild vor der Pause kommt ein wenig Farbe in den Hintergrund. Auf die Rückwand werden herbstliche Bäume projiziert, die das Drama ankündigen, was sich auf Tatjanas Namenstagsfeier abspielt. Um Lenskis Überreaktion auf Onegins Flirt mit Olga zu motivieren, ist hier jede Menge Alkohol im Spiel. Lenski wird von den Gästen regelrecht abgefüllt, so dass er offensichtlich nicht mehr Herr seiner Sinne ist, wenn er Onegin am Ende zum Duell herausfordert.
[…] Musikalisch lotet Giovanni Conti, der in der rezensierten Aufführung am Pult der Niederrheinischen Sinfoniker steht, die emotionalen Tiefen der Musik mit viel Temperament aus und lässt das Publikum eine Achterbahn der Gefühle erleben. Rafael Bruck gestaltet die Titelpartie mit kraftvollem Bariton und arbeitet szenisch zunächst die Arroganz Onegins glaubhaft heraus, um im Verlauf des Stückes eindrucksvoll zu zeigen, wie Onegins Welt nach dem Tod Lenskis immer mehr aus den Fugen gerät. Sofia Poulopoulou verfügt als Tatjana über einen glockenklaren Sopran, der in den Höhen große Strahlkraft besitzt. Die große Briefszene kann als ein musikalischer Höhepunkt des Abends bezeichnet werden. Mit großartiger Mimik zeichnet sie die Schermut des jungen Mädchens und vollzieht einen überzeugenden Wandel vom naiven Mädchen zu einer reifen Frau. Kejti Karaj stattet ihre Schwester Olga mit warmem Mezzosopran aus und gefällt durch temperamentvolles Spiel. Woongyi Lee punktet als Lenski mit höhensicherem, kraftvollem Tenor, der in seiner großen Arie herzzerreißend leidet. Das Publikum ist von dieser Szene derart ergriffen, dass es sogar den eigentlich verdienten Szenenapplaus vergisst.
Dirk Richerdt, Rheinische Post, 11.06.24Ein genussreiches Klang-Menü!
Ein großes Ensemble steht bei Tschaikowskys Werk auf der Bühne. Helen Malkowsky inszenierte, Mihkel Kütson dirigierte.
[…] In dieser Oper geht es um Langeweile und Lebensüberdruss, eine Haltung, die im 19. Jahrhundert zum Kult avancierte. Aber eigentlich dreht sich in „Eugen Onegin“ alles um die Liebe. Um die Gefühlsaufwallungen eines jungen Mädchens, die der russische Komponist Peter Tschaikowsky ins Zentrum von sieben szenischen Bildern rückte, als er 1877 ein bühnengeeignetes Destillat aus dem gleichnamigen Versroman von Alexander Puschkin entwickelte. Das Ergebnis ließ sich nun bei der letzten Theaterpremiere der Spielzeit erleben.
[…] Helen Malkowsky, die am hiesigen Theater unter anderem bereits Tschaikowskys „Mazeppa“ inszenierte, setzt das Ensemble während der zweieinhalb Aufführungsstunden vielfach in Bewegung. Dadurch macht sie manche dramaturgischen Schwächen des Stücks geschickt wett. Selbst im Off finden der Frauenchor und der gemischte Opernchor, die Chordirektor Michael Preiser nachhaltig auf russisches Volkston-Kolorit eingestimmt hat, zu wonniger Harmonie. Beim Fest im vierten Bild stellt das Ensemble zu Walzer und Polonaise Spielfreude unter Beweis. Dazu dreht kongenial ein für wechselnde Raumfunktionen bestimmtes Architektur-Element munter seine Runden mit. Kleine, beabsichtigte „Unfälle“ in der Küche sind ebenso mitzuerleben wie im Tanzsaal derbes Hantieren mit Wodka-Gläschen. Na sdorowje!
Bei der Briefszene sitzt Tatjana nicht, wie zu erwarten, am Schreibtisch, um ihre Liebeserklärung zu formulieren. Malkowsky und Bühnenbildnerin Tatjana Ivschina lassen vom Schnürboden eine Fensterfront herabgleiten. Sofia Poulopoulou als Tatjana reißt Packpapier von Fensterflügeln, um darauf zu kritzeln. Ein starkes Bild für ihre chaotische Gefühlslage. Als zerknittertes, gefaltetes Bündel wird der Brief von der Amme (Satik Tumyan) dem Adressaten zugestellt.
Leider indisponiert, kann Rafael Bruck in der Titelrolle stimmlich nur begrenzt glänzen. Es ist umso inspirierender mitzuerleben, wie der souveräne Bariton kurz vor dem Ende in der schmerzerfüllten Abschiedsszene zu unerwartet intensiver, hochdramatischer Klangfülle findet – wie ein Marathonläufer beim Schlussspurt. Sofia Poulopoulou (Tatjana) bleibt über die gesamte Langdistanz in optimaler Verfassung. Ihr jugendlich-dramatischer Sopran entfaltet ungetrübten, begeisternden Hörgenuss in allen Registern und Stimmfacetten bis hinan in schwindelige Höhen. […]
Woongyi Lee als Lenskij legt seine Figur stimmtechnisch oft metallgehärtet an, bei den lyrischen Abschnitten im dezenten Mezza-voce-Modus gefällt der Tenor besser. Hayk Deinyan überzeugt als abgeklärter Fürst Gremin durch einen grundsoliden, sonoren Bass.
Unter der hellwachen Leitung Mihkel Kütsons richten die Niederrheinischen Sinfoniker Tschaikowskys Partitur als genussreiches Klang-Menü an. Angefangen mit dem sequenzierten Leitmotiv Tatjanas im Vorspiel über slawische Festfreude in den Chorszenen und ohrwurmtüchtige Arienbegleitung bis hin zu den strahlenden oder düsteren Horizonten der Klanglandschaft. Es gab oft Szenenapplaus und am Ende anhaltende Ovationen für die dritte „Onegin“-Produktion seit 1989 am hiesigen Haus.
Ossama el Naggar, ConcertoNet.com, 30.06.24Such excellence is rare, even in cities ten times as large. Bravissimo!
Germany is without question a paradise for opera lovers.
There are many opera companies and an abundance of choices for the public, for both the novice and aficionado alike. To be sure, La Traviata and La Bohème are omnipresent, but there are also intriguing rarities to be discovered within accessible distances. […] I was able to venture into the small town of Mönchengladbach, population 250,000, some thirty minutes away, to see a production of Eugene Onegin. Amazingly, this industrial town has a first‑rate modern theatre (capacity 700!) that was almost sold out. The ambiance before the performance and during the intermission was vibrant and congenial.
[…] Tchaikovsky’s Eugene Onegin is one I’m happy to see frequently. It’s one of the most moving romantic operas, affording huge possibilities for singers and directors.
[…] Director Helen Malkowsky’s vision of the work was visionary: austere sets concentrating on the psychological dimensions. The opera’s opener, usually on the porch of Tatyana’s family estate where the family greets the peasants returning from harvest, is here set indoors. Gone is the harvest, transposed instead to the wake of Mme Larina’s spouse, father to Olga and Tatyana. This deviation from the text is welcome, as it helps us to better understand the family dynamics.
[…] Director Helen Malkowsky’s vision of the work was visionary: austere sets concentrating on the psychological dimensions.
[…] As Onegin, Mexican-German baritone Rafael Bruck cuts a dashing figure, immediately evoking the character’s attributes: easygoing, charming, well‑mannered and, most of all, utterly blasé. Though a talented actor, endowed with an electric stage presence, Bruck’s voice is dry and lacks sensuality. His voice is the opposite of the Verdi baritone. To some extent, the lack of appeal of his timbre played into Onegin’s cynicism and antipathy. […] Only a great singer‑actor can win public sympathy playing such an unpleasant character. Happily, Bruck succeeded brilliantly in this regard.
[…] As Lensky, South Korean tenor Woongyi Lee was charm personified. His youthful voice is remarkable: beautiful, powerful and endowed with a brilliant squillo. With proper guidance, this tenor will go far. Throughout the opera, Lee conveyed the poet’s passion, a prerequisite to explain his insistence on a duel against Onegin. His famous aria, “Kuda, kuda, kuda vi udalilis,” was outstandingly executed, with the perfect touch of melancholy.
[…] The uncontested revelation of the evening was Greek soprano Sofia Poulopoulou, who was an ideal Tatyana. She is a unique soprano with a beautiful and distinct timbre. Her voice has natural trills and is immediately recognizable. Moreover, she navigates with extreme ease in the upper register. A talented actress, she deftly conveyed Tatyana’s emotional vicissitudes.
[…] Albanian mezzo Kejti Karaj was a luxury in the role of Olga. Her dark, velvety mezzo contrasted beautifully with Poulopoulou’s lyric soprano in their duets. With such a rich voice, it’s a pity Olga has no solo arias. Dramatically, she conveyed the younger sister’s merry outlook on life and joie de vivre. Her flirtation with Onegin during Tatyana’s party seemed natural and spontaneous.
[…] The supporting cast were well chosen. Given Malkowsky’s outlook, Eva Maria Günschmann was a convincingly angry Mme Larina. Armenian mezzo Satik Tumyan was a delightful Filipyevna, maternal and caring. Her warm mezzo, outstanding Russian diction and impressive characterization made this secondary role seem more important.
[…] The excursion to Mönchengladbach to see Onegin was a happy occasion. It’s both surprising and reassuring to happen upon such a well‑sung and intelligently staged production in a small town. Such excellence is rare, even in cities ten times as large. Bravissimo!
Vorberichte in der lokalen Presse:
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Die Magie der Musik: Tschaikowskys Oper „Eugen Onegin“ feiert Premiere – Im Gespräch mit Opernsängerin Sofia Poulopoulou
Jessica Sindermann, HINDENBURGER, 1. Juni 2024 Zum Beitrag